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Sommernachtstraum

Ich liege im Schatten des alten Ahornbaumes und warte. Ich habe schon oft gewartet in meinem Leben. Auf die Bahn, darauf, dass mein Essen endlich warm ist und jetzt auch auf dich. Ich warte und warte, bis es mich friert. Die Art von Kälte, die ganz normal ist, im Herbst bei 25 °C. Nicht deine Kälte, die einen im Sommer frieren lässt.

Doch du kommst nicht. Also gehe ich, blicke mich noch ein letztes Mal um und betrachte unseren Baum. Diesen Baum, der mit unserer Bindung gewachsen ist. Diesen Baum, in dessen Wurzeln unsere Versprechen und Geheimnisse ruhen. Diesen Baum, der nun kahl und leblos dasteht. Er wird sterben, so wie wir es getan haben, und mit ihm unsere Erinnerungen. Die schlechten werde ich zumindest dort begraben, unter einer Schicht aus Vergeben und Vergessen, bedeckt mit der Saat des Neuanfangs. Wie kitschig.

Die schönen Erinnerungen allerdings, die werde ich mitnehmen, wohin auch immer das Schicksal mich tragen mag. Die Winde der Zukunft werden auch mir, wie unserem Baum, einige Blätter der Vergangenheit entreißen. Wer weiß, womöglich wird dadurch alles leichter und schöner und besser. Vielleicht wird dadurch alles genau so, wie wir es uns immer vorgestellt haben. Mit Schmetterlingen im Bauch und Regenbögen und Schäfchenwolken. Mit Prinzessinnen in Schlössern und Einhörnern und Frieden, wohin man auch blickt. Mit Liebe und Güte und Freude. Mit all dem, was wir eben nie geschafft haben.

Auch wenn der Schmerz des Abschieds und des Verlusts mich zu übermannen droht, so gehe ich doch weiter. Hinein ins Unbekannte, auf der Suche nach Licht. Wehmut droht mich zu verschlingen, trägt ein anderer deinen Namen. Sehnsucht gräbt sich tief in mein Herz, zwingt mich umzukehren, doch ich bleibe standhaft. Jetzt bin ich dran. Jetzt ist meine Zeit gekommen. Jetzt werde ich glücklich.

Der Tränenschleier raubt mir die Sicht. Der Schmerz ist immer noch ein treuer Begleiter. Hin und wieder verpasst er mir einen Schlag in die Magengrube, zwingt mich auf die Knie und raubt mir den Atem. Doch ich muss weiter. Ich habe eine Bestimmung und die bist eben nicht du. Das hast du mir deutlich zu verstehen gegeben. Am Anfang nur ganz selten, dann doch schon ziemlich oft und zum Schluss hin - ja fast täglich.

Als wir uns kennenlernten, waren wir ganz unschuldig. Wir waren zart und vorsichtig, so wie Fremde das halt sind. Doch nach und nach, begannen wir uns zu vertrauen und uns Halt zu geben. Wir waren füreinander da und immer bereit. Welch Freude uns das Leben machte, da ein Abenteuer und dort eine Hürde, wir nahmen sie alle. Gemeinsam. Weil man das so macht, hast du gesagt.

Du hast mich getroffen. Links vom Brustbein, mitten hinein. Es war ein wunderbar wohliges Gefühl. Warm und kribbelig. Vergleichbar mit einem Abend am Strand mit Meeresrauschen und Sonnenuntergang und Musik und Wein. Wie eine klare Frühlingsnacht unterm Sternenzelt mit Lachen und Staunen und „deepe Storys teilen“. Du warst mein Sommernachtstraum, in dem ich mich sofort wiederfand. Du warst mein Alles und es schien, als wär ich auch deines.

Doch Zeiten ändern sich, wie es scheint, denn schon bald warst du kühl. Du hast mich abgewiesen, mit mir gestritten, dich nicht mehr gemeldet. Ich habe den Fehler gesucht und bin immer auf mich zurückgekommen. Alle Wege führen nach Rom, und alle Fehler führten zu mir. Selbstverständlich hatte auch ich Mitschuld an unserem Bruch. Doch den Fehler nur bei mir zu suchen, war wohl mein größter. Und so warst du noch immer mein Alles, doch ich wurde langsam zu deinem Nichts.

Woran liegt’s, was ist denn los? Habe ich dich immer und immer wieder gefragt. Deine Antwort war jedes Mal dieselbe. Mach dir keinen Kopf, es ist nichts. Die Schmerzen, die mir diese Ungewissheit bereitet hat, waren unschön. Doch die Gewissheit, dich allmählich zu verlieren, war schlimmer. Aber so ist das Leben und ich musste das hinnehmen. Auch wenn es weh tat.

Einfach so wollte ich dich aber nicht gehen lassen. Also habe ich dir geschrieben, mich entschuldigt und dich gebeten, mit mir zu reden. Ein letztes Mal. Du hast zugestimmt. Treffpunkt: Ahornbaum. Ich habe gewartet und gewartet. Doch du bist nicht gekommen. Und damit hast du mich getroffen. Links vom Brustbein, mitten hinein. Doch dein Pfeil war mit Gift getränkt.

Es hat lange gedauert, doch heute weiß ich, dass ich nicht die alleinige Schuld an diesem Verlust trage. Denn wenn du aus meinem Leben verschwinden willst, dann wirst du das auch tun. Ganz egal, was ich auch tue. Willst du hingegen bleiben, so werden wir es schaffen, den Baum unserer Beziehung am Leben zu erhalten. Gemeinsam.


Im Leben läuft nicht immer alles nach Plan. Menschen kommen und gehen. Doch wahre Freunde bleiben, nehmen alle Hürden gemeinsam und überwinden selbst die tiefsten Abgründe.


JG

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